Seit Monaten hat sich ein neuer Trend in Deutschland ausgebreitet, um den Protest an Coronamaßnahmen, vor allem einer Impfpflicht, auch trotz der staatlichen Einflussnahme auf das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, laut werden zu lassen. Der Spaziergang! In ganz Deutschland finden jeden Montag tausende Spaziergänge statt, die Millionengrenze an Protestlern ist längst erreicht.
Auch in Treptow-Köpenick gehen die Menschen spazieren. Waren es im November noch weniger als 100, so sind es mittlerweile weit über tausend Teilnehmer, die jeden Montag Hase und Igel zu spielen. Aprospos Igel. Dieser, und hier ist der Bezirksbürgermeister gemeint, hat sich klar gegen die Maßnahmenkritiker ausgesprochen. Das wäre vielleicht gar nicht beklagenswert, wenn er dafür nicht seine Machtstellung ausnutzen würde, die Menschen öffentlich als rechtsradikal anzuprangern. Denn das sind sie weiß Gott nicht. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass Nazis mit dem Lastenrad kommen und „Die Gedanken sind frei“ singen. Aber so lässt sich die Plage am besten stigmatisieren.
Davon unbeirrt hat sich der Protest dennoch weiter verstärkt. In fast jedem Ortsteil finden sich Menschen, meist über Telegram-Gruppen zusammen. Friedrichshagen, Schöneweise, Müggelheim machen ihre eigenen Proteste mit bis zu 100 Teilnehmern. Dienstags treffen sich demonstrierende Pädagogen vor dem Rathaus Köpenick. Und montags ziehen Menschen zeitgleich von Adlershof und dem S-Bahnhof Köpenick Richtung Altstadt. Jedes Mal mit dabei, mehrere Mannschaftswagen, die an verschiedenen Stellen die Menschen einkesseln, nur damit sie sich woanders wieder zusammenfinden.
Rechtlich ist die Aktion wenig bedenklich. Spazieren gehen ist keine Straftat, nicht mal eine Ordnungswidrigkeit. Dass man dabei anderen über den Weg läuft, liegt in der Natur der Sache. Welche Rechtfertigung gibt es stattdessen für das Aufgebot an Polizisten? Mehr als eine Identitätsfeststellung und ein Platzverweis kann es nicht werden. Aber selbst diese Maßnahmen müssen eigentlich begründet sein, um dem Vorwurf der Willkür entgegenzustehen. Eine Geldbuße wegen der fehlenden Maske kann ebenfalls ignoriert werden. Es handelt sich schließlich um Spaziergänge. Das Einkesseln ist also lediglich eine Machtdemonstration, mehr nicht. Davon sollte sich niemand beeindrucken, aber auch nicht provozieren lassen.
Mittlerweile sind unter den Spaziergängern auch viele Feuerwehrmänner, Ärzte und Krankenschwestern, teilweise in Uniform. Selbst Polizisten, und damit sind keine V-Leute, sondern echte Protestler gemeint, laufen Montags mit. Dennoch hält sich bei vielen Politikern und auch bei Befürwortern die Meinung, dass die Spaziergänger andere gefährden und um dieser Absurdität Nachdruck zu verleihen, untermauert man es populistisch mit dem anklagenden Slogan: „Mit Nazis spaziert man nicht“, als hätte das irgendetwas mit der ganzen Aktion zu tun. Aber so kann man sich Absolution erteilen.
Um den Gegnern der Spaziergänge den Wind aus den Segeln zu nehmen und vielleicht Menschen zu erreichen, die bisher Angst vor Spaziergängen hatten, wird künftig zusätzlich eine angemeldete Demonstration stattfinden. Deren Teilnehmern werden mit Abstand und Maske laufen. Das mag paradox wirken, aber was bringt, der beste Protest, wenn er stets mit einem Katz und Maus Spiel endet. Die Demonstration steht unter dem Motto der Toleranz, Freiheit und Selbstbestimmung. Am Ende trifft man auf die Spaziergänger und vielleicht einige Gegendemonstranten. Mit Sicherheit werden auch wieder Bereitschaftspolizisten versuchen die Aktionen zu stören. Also ein ganz normaler Montag in Treptow-Köpenick.